Ich habe noch nie meine Scham- oder Achselhaare gesehen…
In unserer westlichen Welt ist das Ideal eines weiblichen Körpers unbehaart, glatt und samtweich. Das war nicht immer und auch nicht überall so. Das Ideal der haarlosen Frau gab es laut einiger Quellen zwar bereits im Mittelalter, schlief dann aber auch hier in Europa wohl wieder etwas ein und erwachte erst Ende des 18. Jahrhunderts langsam wieder zu neuer Größe. Die Kontrolle weiblicher Körper war immer Teil patriarchaler Praktiken. Diese spezielle (wie viele andere sicherlich auch) ist allerdings nicht nur sexistisch, sondern auch Teil rassistischer Unterdrückung, denn gemessen wird der Grad der idealen Behaarung am Standard weißer Europäer*innen (das gilt auch für Männer und Jungs). Alok Vaid-Menon spricht in einem Instapost darüber, wie them dieser Druck auf mehrfacherweise begegnete und einengte, den ich (wie alle anderen Posts und Arbeiten von Alok) herzlichst jeder*m empfehlen möchte, die*der sich mit dem Thema (und generell queerer Befreiung aus nicht-weißer Perspektive) beschäftigen möchte.
Nun hat vor einigen Jahren die 21-jährige Engländerin Laura Jackson die Aktion #Januhairy ins Leben gerufen, nachdem sie für eine Theateraufführung ihre Körperhaare wachsen ließ und konkret mit dem gesellschaftlichen Tabu konfrontiert war. Sie wollte dieses Tabu damit infrage stellen und andere Frauen ermutigen, sich für einen Monat die Körperhaare wachsen zu lassen. Denn der Druck auf Frauen sich zu rasieren ist groß. Weiblichkeit wird damit assoziiert, Weiblichkeit und Jugend. Wer nicht folgt, dem wird die Weiblichkeit abgesprochen. „Das sieht so männlich aus.“, alternativ gerne auch "unhygienisch" oder einfach ganz plump "eklig". Wir wissen das, denn seit vielen Jahren kämpfen Feministinnen dagegen und seit genau so vielen Jahren machen sich Menschen über diese Feministinnen lustig und kämpfen zurück. Es ist so bekannt, dass das stereotype Bild einer Feministin manchmal eine wütende, ungeschminkte und unrasierte Frau ist. Der persönliche Bericht von einer Frau, die sich für ein Experiment vor ein paar Jahren mal nicht rasierte und dann verschiedene Männer datete, hat mir das Ausmaß der Ablehnung, die frau darauf erfährt noch einmal deutlich gemacht. Dabei machen Bein-, Scham- und Achselhaare jeweils sicherlich ganz unterschiedliche Probleme. Auch das Modell Arvida Byström bekam mit 26 Jahren heftige und hasserfüllte Reaktionen, die bis hin zu Verg*waltigungswünschen reichten, als sie 2017 ihre Beinhaare öffentlich präsentierte. Mittlerweile gibt es eine Menge feministischer Kolumnen, die uns diesen Druck und die gesellschaftliche Bestrafung bewusst machen, der sich Frauen aussetzen, die diese Ideale nicht erfüllen. Und jetzt stehe ich hier als stolze Feministin, mit 30 Jahren und habe noch nie in meinem ganzen Leben meine eigene Körperbehaarung vollständig gesehen – das kann doch nicht sein!
Natürlich ist das kein individuelles Problem und auch nicht individuell lösbar. Keine Frau ist weniger feministisch, weil sie sich die Beine rasiert, auch das wurde bereits in genügend feministischen Artikeln festgestellt. Dazu kommt, dass in der Sexarbeit alles ein Bisschen komplizierter ist. Mein Körper ist mein Kapital, ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit. Und das nicht nur in Hinsicht auf die körperliche Leistungsfähigkeit, wie bei den meisten anderen Arbeiten, sondern eben auch in Hinsicht auf mein Aussehen, wie das auch bei Modells oder Schauspieler*innen (wie Laura Jackson) der Fall ist. Viele Konventionen gelten hier nicht so starr, denn Sexarbeit fand immer eher am Rande der Gesellschaft und damit auch in „etwas freieren“ gesellschaftlichen Sphären statt, wenn man so möchte (mit allen Konsequenzen, die damit einhergingen). Außerdem gibt es eine Vielfalt an Wünschen gegenüber Dienstleister*innen und genauso eben eine Vielfalt darin, wer was wie anbietet. Entsprechend gibt es also viele Kolleg*innen, die komplett rasiert sind aber auch andere, die ihre Behaarung voll stehen lassen oder teilrasieren und auch Kund*innen, die speziell nach einer der vielen Variationen suchen.
Es macht die Wahl aber auch weniger frei, denn wenn ich eine Version ankündige und damit werbe, kann ich mich nicht einfach mal eben so für eine andere entscheiden. Und natürlich wird das Risiko der gesellschaftlichen Bestrafung auch größer, wenn sie potenziell die eigene Existenzgrundlage betreffen könnte. Nun habe ich das Glück, in einer sehr privilegierten Situation zu sein, in der ich mich nicht um große Einnahmeeinbußen sorgen muss. Und ich bin ein neugieriger Mensch. Außerdem glaube ich, dass Sehgewohnheiten einen Unterschied machen und Menschen haarlose Frauen vor allem dann bevorzugen, wenn sie überhaupt keine andere Version von Weiblichkeit zu Gesicht bekommen. Als ich letztes Jahr vom Januhairy gehört habe, war dieser leider schon halb rum. Ich habe aber im selben Moment entschieden, dass das im nächsten Jahr meine Gelegenheit sein wird, nun doch einmal herauszufinden, wie sie so aussehen, meine Haare…
Wer also im Januar 2024 einen Termin bei mir bucht, kann damit rechnen, dass ich (je nach Monatsanfang oder eher Monatsende) mehr oder weniger behaart zu der Buchung erscheine. Wem das nicht gefällt, der*dem steht es natürlich frei, sich für einen Termin im Februar zu melden und sich ein wenig mehr der Vorfreude hinzugeben. Aber wer weiß, vielleicht gefällt es mir ja auch und ich bleibe dann dabei. 😉