*Deutsch* (English below)
Wow. Ich bin echt aufgeregt. Ich bin immer aufgeregt, wenn ich vor großen Gruppen sprechen soll. Aber heute bin ich ganz besonders aufgeregt. Warum? Weil ich als Sexarbeiterin vor euch stehe. Ich bin Escort und Mitglied des BesD, des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen und genau in dieser Rolle werde ich oder wird das was ich tue von unglaublich vielen Menschen immer noch als unmoralisch, dreckig, eklig, billig oder sonst wie abgewertet. Weil Frauen immer noch in Hure und Heilige eingeteilt werden also in gute Frau, schlechte Frau.
Die gute Frau ist die, die nicht auffällt und nicht aufregt, die die Klappe hält und tut was sie soll, die in der Öffentlichkeit kein sexuelles Wesen ist, dem Partner aber schon zur Verfügung steht wenn der es wünscht. Die schlechte ist die, die all das bricht, die nicht alles nach außen hin schön wirken lässt, die -um Gottes Willen- eigene sexuelle Bedürfnisse hat, was schon geil ist und ab und zu mal benutzt werden kann aber halt nicht als Freundin oder Frau zu Hause und wehe die eigene Tochter gehört dazu. Ich bin in dem Szenario natürlich ganz offensichtlich die Schlechte und damit habe ich mir jeden Respekt der einem Menschen entgegen gebracht werden könnte verspielt. Das ist das so genannte Hurenstigma.
In meinem Fall heißt das, dass ich mit meiner Familie und neuen Leuten nicht über meinen Alltag sprechen kann, weil ich Angst vor der Reaktion habe. Es heißt ich hab mich echt scheiße gefühlt, als ich zu der laut „Prostituiertenschutzgesetzt“ verpflichtenden Gesundheitsberatung gehen musste und mir mit einer Herablassung sondergleichen erklärt wurde wie Verhütung nochmal funktioniert. Es heißt ich habe enge Freunde verloren, weil die Person „auch wenn sie mich nicht verurteilen will, jetzt doch einfach irgendwie anders über mich denkt“. Ich habe zum Glück Freunde, die bescheid wissen, die mich unterstützen und mit denen ich über Erlebtes sprechen kann. Und ich bin weiß, ich bin Deutsche, ich bin Cis-Gender, nicht-behindert, Akademikerin, ich spreche die Landessprache fließend, ich kann lesen und schreiben und ich kann sogar Behördendeutsch verstehen. Das alles heißt, dass es viele Sexarbeiter*innen gibt, die in viel prekäreren Situationen arbeiten als ich.
Für Frauen mit weniger Privilegien bedeutet das Hurenstigma vielleicht Gewalt. Es bedeutet vielleicht, dass sie mit NIEMANDEM über ihren Alltag sprechen können. Es bedeutet Schwierigkeiten umzusteigen und einen neuen Job zu finden, eine schlechtere gesundheitliche Versorgung, Scham oder ein eigenes Risiko bei der Anzeige von Straftaten. Und das in einer Gesellschaft in der wir gerade vor ein paar Jahren angefangen haben, die Sexarbeit zu entkriminalisieren. In letzter Zeit werden aber wieder Stimmen laut, die eine Kriminalisierung fordern, dieses Mal in Form eines Sexkaufverbots, also Freier bestrafen und mir meine Arbeit im Prinzip unmöglich machen. Das Sexkaufverbot will angeblich Frauen schützen, nicht indem es Sexarbeit sicherer macht sondern indem es Sexarbeit abschafft. Denn die Logik der Freierbestrafung ist nicht in erster Linie „wir müssen die Frauen unterstützen, die diesen Beruf ausüben“ sondern „Sexarbeit ist unmoralisch und sollte nicht stattfinden“, welcome back beim Hurenstigma. Was stimmt ist, dass Sexarbeit sexistischen, rassistischen und vielen anderen Strukturen unterliegt, weil unsere Gesellschaft sexistisch, rassistisch, queerfeindlich und vieles mehr ist. Und deswegen sind wir heute hier, deswegen organisieren wir uns, demonstrieren und tun alles Mögliche um dagegen zu kämpfen und vor allem auch um solidarisch zu sein und uns gegenseitig in unseren Kämpfen zu unterstützen! Denn das Hurenstigma ist immer auch das Stigma von Frauen, die ihre sexuelle Freiheit Leben ohne dafür Geld zu verlangen, die irgendwie anders nicht in das Bild der Heiligen passen, die ihr Leben so leben wie sie es wollen und nicht wie unsere sexistische Gesellschaft es vorschreibt. Deshalb bitte ich euch, seid auch ihr solidarisch mit Sexarbeiter*innen und kämpft für unsere Rechte. My Body, my choice!
*English*
Wow. I am really nervous. I am always nervous to speak to large groups. But today I'm particularly nervous. Why? Because I stand before you as a sex worker. I am an escort and a member of BesD, the professional association for erotic and sexual services and it is exactly in this role that I am or what I do is devalued by an incredible number of people as immoral, dirty, nasty, cheap or otherwise. Because women are still divided into whores and saints, good woman, bad woman.
The good woman is the one who doesn’t stand out and doesn’t upset, who shuts her mouth and does what she’s told, who is not a sexual being in public but is available to her partner if he wishes for it. The bad one is the one who breaks all of this, who doesn't make everything look beautiful on the outside, who - for God's sake - has her own sexual needs, which is cool and can be used from time to time, but just not as a girlfriend or wife at home and please let not your own daughter be one of them. In this scenario I'm obviously the bad one, and with that I gambled away any respect that could be shown to a human being. This is the so-called whore stigma.
In my case, this means that I can't talk to my family and new people about my everyday life because I'm afraid of the reaction. It means I felt really shit when I had to go to the compulsory health counselling according to the "prostitutes protection law" and with condescension was told how contraception works again. It means that I have lost close friends because the person “even if they don't want to judge me, they just think of me differently now”. Fortunately, I have friends who know about it, who support me and with whom I can talk about my experiences. And I am white, I am German, I am cis-gender, not disabled, academic, I speak the national language fluently, I can read and write and I can even understand officialese. All of this means that there are many sex workers who work in much more precarious situations than I do.
For women with fewer privileges, the whore stigma may mean violence. It may mean that they can’t talk to anyone about their everyday life. It means difficulties in changing and finding a new job, poorer health care, shame or even a risk for themselves when reporting crime. This is in a society where we just started decriminalizing sex work a few years ago. Recently, however, voices have been heard again, which call for criminalization, this time in the form of a sex buying ban, which means punishing clients and making my work basically impossible. The sex buying ban is said to protect women, not by making sex work safer but by eliminating sex work. Because the logic of client punishment is not primarily "we have to support the women who work in this profession" but "sex work is immoral and should not take place", welcome back to the whore stigma. What is true is that sex work is subject to sexist, racist and many other structures because our society is sexist, racist, anti-queer and much more. And that's why we're here today, that's why we organize, demonstrate and do everything possible to fight against this and above all to show solidarity and support each other in our struggles! Because the whore stigma is always also the stigma of women who live their sexual freedom without asking for money, who somehow do not fit into the image of the saints, who live their lives the way they want and not the way our sexist society dictates. Therefore, I ask you to show solidarity with sex workers as well and to fight for our rights. My body, my choice!