50 Jahre Hurenbewegung – WOW!

goldene Kugel mit der Inschrift "50 Jahre" zum 50. internationalen Hurentag

Mein Redebeitrag zum 50. internationalen Hurentag

50 Jahre Hurenbewegung – WOW!

...und 30 Jahre davon hat Madonna die Bewegung begleitet – was für eine Zeit.

Ich bin vor fünf Jahren dazugekommen und arbeite seitdem unter dem Namen Lillia Rubin als Escort und Sexualbegleiterin. Weil ich ein politischer Mensch bin, hat mich die Selbstorganisation von Sexarbeitenden natürlich auch sofort interessiert, als ich damit angefangen habe und ich bin nach meiner zweiten Buchung glaube ich dem Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen beigetreten. Im BesD habe ich erstmal viel zugehört und viel gelernt. Am Anfang hatte ich zum Beispiel noch das Ziel, Menschenhandelsopfer zu retten und habe dann relativ schnell gemerkt, dass das alles doch gar nicht so einfach ist und etwas mehr Differenzierung braucht.

Ich habe dann Reden und Vorträge zur Lebensrealität von Sexarbeitenden gehalten und mich an Demos gegen die unfaire Behandlung unserer Branche im Rahmen der Coronamaßnahmen beteiligt. Ich habe eine Awareness AG mit aufgebaut, weil immer wieder Kritik aufkam, dass bestimmte Diskriminierungsformen im BesD stattfinden und migrantische, schwarze und trans Sexarbeitende nicht ausreichend mitgedacht werden. Wir wollten dem entgegensteuern und sind dabei voll in die Coronazeit und die Diskussionen um die Querdenkerszene gefallen. Antifaschistische Themen kamen also auch noch dazu auf den Tisch, was viele Vereine in der Zeit spaltete. So auch bei uns. Wir haben als Gruppe den BesD verlassen und einen offenen Brief veröffentlicht, inklusive Artikel im Missy Magazine und allem drum und dran.

Es folgte eine Zeit des unabhängigen Aktivismus für mich in anderen Konstellationen. Viel ist anfangs noch mit den Mitgliedern der Awareness AG oder anderen unabhängigen Aktivistinnen passiert. Über diese Kontakte sind wir auch zu Trans-Sexworks in Berlin, dem Black Sex Worker Collective, dem Strippers Collective und der Sex Work Action Group in Kontakt gekommen. Irgendwann hat sich in Berlin auch eine Sexwork-Section bei der FAU gegründet. Ihr merkt schon, das ist alles sehr Berlin-lastig, wie es immer so ist mit alternativen Lebensstilen, aber einiges gibt es auch in Leipzig und Hamburg. Auch bei Verdi bin ich Mitglied und habe immer mal wieder mein Glück versucht, mich mit den gefühlt 3 anderen Sexarbeitenden dort zu vernetzen, aber bisher war das wenig erfolgreich. Im Ruhrgebiet gibt es viele feministische Gruppen, die Sexarbeit abschaffen wollen und das nordische Modell fordern. So langsam aber sicher haben sich aber auch wieder Strukturen in NRW gebildet, wie „Sex Workers of Cologne“ und eine Vernetzungsgruppe für Sexarbeitende, die ich ins Leben gerufen habe und die mittlerweile stolze 34 Mitglieder hat. Auch parteipolitisch war ich aktiv und habe das Thema Sexarbeit auf verschiedenen Ebenen diskutiert.

In all diesen Organisationen wird auf ganz unterschiedliche Art und Weise politische Arbeit gemacht, es gibt sehr breit gefächerte Gruppen und eher radikalere, es gibt sehr formal organisierte und losere, politischere und niedrigschwelligere, aber was auffällt ist, alle arbeiten so für sich und haben nicht viel miteinander zutun

Über verschiedene Netzwerke und auch bei der Arbeit habe ich irgendwann in den letzten beiden Jahren mitbekommen, dass immer mehr Sexworker in Deutschland die Forderungen nach dem nordischen Modell mitbekommen. 2022 lief ja auch die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes an, die jetzt dieses Jahr abgeschlossen wird, d.h. es verbreitete sich so eine erwachende Ahnung, dass das jetzt wirklich Realität werden könnte und langsam aber sicher auch eine kleine Panikwelle in der deutschen Sexworker Szene.

Es gab immer mal wieder aus den eher lose organisierten Vernetzungsgruppen und Einzelaktivist*innen den Versuch einer organisierten Kampagne gegen diese Forderung eines nordischen Modells, diese Versuche sind aber nie sehr weit gekommen. Einzelne Aktivist*innen haben große Teile übernommen, mussten sich dann wieder raus ziehen oder waren frustriert, weil es zu wenig Unterstützung oder zu wenig Personen gab, die mit gearbeitet hätten. Größere Organisationen waren fast nie dabei, teils bewusst, weil Abstand zu der einen oder anderen genommen werden wollte, teilweise weil von diesen keine Initiative oder Unterstützung in genügendem Umfang kam. 2 oder 3 Mal habe ich in den letzten 3 Jahren ein Aufkommen und dann wieder Zusammenfallen eines Kampagnenzusammenschlusses unter Sexarbeitenden erlebt.

Der BesD macht natürlich weiter, als größter Sexworker Verband Europas, hat auch dieser keine größere Kampagne initiiert aber ich glaube man kann schon sagen, dass wir der politischen Arbeit des BesD zumindest auch, natürlich auch der SPD aber auch dem BesD, den Passus zu verdanken haben, der jetzt im Koalitionsvertrag steht, der nicht das nordische Modell fest geschrieben hat, sondern eine Expert*innenkomission, die auf Grundlage der Ergebnisse der Evaluation ggf. Gesetzesänderungen erarbeiten und vorschlagen soll. Das ist ein riesen Erfolg gewesen und ich habe Kolleginnen, die vorher unter dem nordischen Modell gearbeitet haben, vor Erleichterung weinen sehen, als sie das gehört haben.

Es ist also ganz schön viel passiert, auch in den letzten 5 Jahren noch. Es gibt aber natürlich auch noch viel zu tun: Das nordische Modell ist nicht mehr so wahrscheinlich aber noch nicht verhindert, es ist immer noch sehr präsent im Diskurs, viele Kolleginnen haben immer noch keinen Zugang zur gesetzlichen KV, weil wir selbstständig arbeiten, die Krankenkassenbeiträge reißen aber für viele ein Loch in ihre Existenzsicherung. Dagegen könnte ein an die KSK angelehntes System helfen. Die Anerkennung als freier Beruf wird von vielen gefordert und ganz aktuell muss natürlich alles dafür getan werden, dass die angekündigte Expert*innenkomission zu einem angemessen Teil mit a) Vertreter*innen aus der Branche und b) aber auch ganz explizit mit Sexarbeiter*innen und Sozialarbeiter*innen, als Vertreter*innen der prekarisierten und marginalisierten Kolleg*innen, besetzt wird.

Die Hurenbewegung lebt also weiter, in Deutschland, in Europa, seit 2008 gibt es über das Global Network of Sex Work Projects sogar strukturell eine internationale Vernetzung.

Ich war Anfang des Jahres in Kenia und habe mich über das NSWP mit Sexarbeitskolleg*innen in verschiedenen Organisationen in Nairobi vernetzt und getroffen unter anderem mit KESWA, der Kenyan Sex Worker Alliance, und habe einfach nur gedacht WOW – von denen können wir richtig viel lernen in Deutschland. KESWA ist der Dachverband aller Sexworker Organisationen in Kenia. Ich habe das vor meiner Reise immer mit dem BesD verglichen aber KESWA ist nicht der kenianische BesD, KESWA ist sozusagen noch eine Stufe über dem BesD und koordiniert alle Mitgliedsorganisationen für eine richtig gute Advocacy Arbeit für Sexworker Rights in Kenia. Sie organisiert Konferenzen, Proteste, spricht mit der Regierung sitzt in Regierungsgremien, unterstützt neue Gruppen bei der Gründung, gibt Reports und Analysen raus. Es war einfach unglaublich beeindruckend diese Arbeit zu sehen. Und vielleicht ist es genau das was uns in Deutschland noch fehlt – eine große übergeordnete Struktur, die alle Sexarbeitendenselbstorganisationen miteinander vernetzt und koordiniert. Ich glaube das würde unserer Bewegung mehr Stärke geben und eine starke Bewegung brauchen wir wie gesagt weiterhin, damit wir auch in Zukunft noch – und ich freue mich sehr, dass das hier heute möglich ist – weiter den 60., 70. und gerne auch noch den 100. Internationalen Hurentag feiern können.

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